Beleidigung, § 185 StGB

Macht sich strafbar, wer den Schriftzug "ACAB" in der Öffentlichkeit trägt?

In den letzten Jahren beschäftigte sich das Bundesverfassungsgericht wiederholt mit der Frage, ob sich eine Person durch das bloße Tragen eines Kleidungsstücks oder eines Banners mit der Aufschrift ACAB – eine Abkürzung für „all cops are bastards“ – wegen Beleidigung strafbar machen kann. Anlass einer Aufsehen erregenden Entscheidung war ein Fußballfan, der im Oktober 2012 zu einem Spiel eine Hose trug, die im Gesäßbereich großflächig mit diesem Schriftzug bedruckt war. Die Bereitschaftspolizisten, an denen er auf seinem Weg aus dem Stadion vorbeikam, stellten Strafantrag – der Fußballfan wurde zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen verurteilt. (BVerfG, Beschluss vom 17.05.2016 - 1 BvR 257/14)

 

Dieser Sachverhalt wirft mehrere Fragen auf:

 

Die Beleidigung ist hauptsächlich zu dem Zweck unter Strafe gestellt, das Ehrgefühl und die Würde eines Menschen zu schützen. Kann aber eine ganze Institution wie „die Polizei“ persönliche Würde gleichermaßen besitzen?

 

Und: werden nicht auch angeblich beleidigende Äußerungen von der Meinungsfreiheit geschützt , die immerhin ein Grundrecht und von fundamentaler Bedeutung für den Rechtsstaat ist?

Die Beleidigung von Personengruppen

Die Beleidigung der Gruppe als solche

Beleidigt werden können nicht nur einzelne Personen, sondern auch Institutionen oder Behörden. Dies wird ausdrücklich in § 194 StGB erwähnt, der bestimmt, wer für eine Behörde, eine Partei oder eine ähnliche Institution im Falle einer Beleidigung den Strafantrag stellen muss.

 

Notwendig ist allerdings, dass die beleidigte Personenmehrheit einen „einheitlichen Willen“ bilden kann und außerdem ein gewisses soziales Ansehen genießt, das beeinträchtigt werden kann. Die Institution muss also eine anerkannte soziale Funktion erfüllen.

 

Beleidigungsfähig sind zum Beispiel einzelne politische Parteien, die Bundeswehr oder einzelne Behörden (bspw. die Staatsanwaltschaft der Stadt xy). In der Rechtsprechung ist jedoch seit jeher anerkannt, dass „die Polizei“ nicht beleidigungsfähig ist, da dieser Begriff sämtliche Polizeibehörden sowohl der Länder als auch des Bundes umfasst und sie somit keinen einheitlichen Willen bilden kann.

 

Allerdings ist es auch möglich, dass nicht die Personengruppe als solche beleidigt wird, sondern sich die Beleidigung auf jedes einzelne Mitglied der Gruppe bezieht. Deutlich wird dies an dem folgenden, lange zurückliegenden Beispiel:

 

Der Angeklagte war Redakteur einer Tageszeitung und verfasste einen Artikel, in dem behauptet wurde, „ein bayerischer Minister“ sei Kunde eines Call-Girl-Rings, der damals Gegenstand eines Aufsehen erregenden Prozesses war. Einen Namen nannte er nicht. Ein anderer – nicht gemeinter – bayerischer Minister fühlte sich beleidigt und stellte Strafantrag, womit er Erfolg hatte. Der Redakteur wurde verurteilt, da sich die Beleidigung auf einen ausreichend „überschaubaren, abgrenzbaren Personenkreis“ bezog und somit alle damals amtierenden bayerischen Minister – sieben an der Zahl – beleidigt wurden. 

(BGH, Urteil vom 18. Februar 1964 – 1 StR 572/63)

 

"All cops" - die Beleidigung der einzelnen Polizeibeamten?

„Die Polizei“ oder – noch unbestimmter – „all cops“ bezeichnet aber gerade keinen überschaubaren Personenkreis. Genau genommen ist nicht einmal klar, ob die deutsche Polizei oder alle Polizisten der Welt gemeint sind.

 

Die Rechtsprechung hat dennoch schon häufig Angeklagte für das Tragen des Schriftzugs im Rahmen von Demonstrationen oder Fußballspielen verurteilt, mit der Begründung, dass den Angeklagten klar gewesen sei, dass sich an der Örtlichkeit Polizisten aufhalten würden, und sich die Beleidigung somit individuell (nur) gegen die anwesenden Polizisten gerichtet hätte.

 

Dieser Praxis erteilte das Bundesverfassungsgericht eine Absage: Das bloße Tragen eines solchen Schriftzugs ACAB reiche nicht aus. Es sei verfassungsrechtlich nicht zulässig, eine auf alle Angehörigen einer großen, unüberschaubaren Gruppe bezogene Äußerung allein deshalb auf einen bestimmbaren Personenkreis gerichtet zu sehen, nur weil diese Teilgruppe gerade anwesend war.

 

Genau aus diesem Grund hat das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde des Fußballfans aus dem Ausgangsfall, der wegen des Tragens seiner Hose verurteilt worden war, für begründet erachtet und die Verurteilung aufgehoben.

 

Konkrete Beleidigung einzelner Polizisten

Anders dagegen sieht es aus, wenn sich jemand bewusst in die Nähe gerade bestimmter Polizisten begibt, um sie mit dem Schriftzug zu konfrontieren. Dann – und nur dann – ist die Äußerung konkret gegen einzelne Personen gerichtet und als Beleidigung strafbar. Hierzu muss das Gericht in seinem Urteil allerdings ausreichende Feststellungen treffen, was oft unterbleibt.

 

Einige Beispiele aus der Rechtsprechung:

 

Das Landgericht sprach gegenüber dem Betroffenen eine Verwarnung mit Strafvorbehalt aus, da er während eines Fußballspiels in Karlsruhe mit anderen Fans gemeinsam ein Banner mit der Aufschrift ACAB in die Höhe gehalten hatte. Die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil hatte Erfolg – das Bundesverfassungsgericht sah im bloßen Hochhalten keine ausreichende Konkretisierung auf bestimmte Polizisten. 

(BVerfG (3. Kammer des 1. Senats), Beschl. v. 17.5.2016 – 1 BvR 2150/14)

 

Ein weiterer Fußballfan trug eine Weste mit Aufnähern mit dem Aufdruck „ACAB“ und „1312“, wodurch sich die Polizeibeamten, die dies bei der Einlasskontrolle sahen, beleidigt fühlten. Er wurde dafür verurteilt und legte Verfassungsbeschwerde ein. Auch hier entschied das Bundesverfassungsgericht zu seinen Gunsten.

(BVerfG (3. Kammer des Ersten Senats), Beschluss vom 16.1.2017 – 1 BvR 1593/16)

 

Anders im folgenden Fall: Bei einer Gegendemonstration zu einer Veranstaltung der NPD trug ein Demomitglied einen rosafarbenen Stoffbeutel mit dem Aufdruck ACAB. Darunter waren ein Kätzchen und der Schriftzug „All Cats Are Beautiful“ abgebildet. Das Bundesverfassungsgericht erteilte zunächst der Deutung der Abkürzung als „All Cats Are Beautiful“ eine Absage und entschied, dass die Verurteilung wegen Beleidigung rechtmäßig war, da der Betroffene nach den Feststellungen des Tatgerichts den Beutel „nachhaltig zur Schau gestellt“ und sich bewusst immer wieder in die Nähe von Beamten begeben habe, um sie darauf aufmerksam zu machen.

(BVerfG (3. Kammer des Ersten Senats), Beschluss vom 13.6.2017 – 1 BvR 2832/15)

 

Fazit: Polizeibeamte nicht auf Schriftzug aufmerksam machen

Letztlich ist festzuhalten: 

 

Das bloße offene Tragen eines Aufnähers, Aufklebers, Plakates, Aufdrucks oder einer Tätowierung des Schriftzugs ACAB ist nicht strafbar. Wer allerdings Polizeibeamte ausdrücklich auf den Schriftzug aufmerksam macht – zum Beispiel explizit darauf deutet, es ihnen vor die Nase hält oder den Schriftzug eindeutig einem bestimmten Polizisten zeigt – riskiert ein Ermittlungsverfahren wegen Beleidigung. Solches Verhalten sollte man in der Gegenwart von Polizeibeamten also tunlichst unterlassen.

 

ACAB, Beleidigung und Meinungsfreiheit

Das Bundesverfassungsgericht stellt zu Recht in jeder Entscheidung immer wieder fest, dass die Meinungsfreiheit eines der höchsten Güter des demokratischen Rechtsstaats ist und dass dieser Rechtsstaat auch Meinungen akzeptieren muss, die seiner Regierung und seinen übrigen Institutionen nicht gefallen. Daher ist laut dem Bundesverfassungsgericht auch „jedes Gesetz im Lichte der Meinungsfreiheit auszulegen“, also möglichst so anzuwenden, dass der Meinungsfreiheit Vorrang eingeräumt wird. Das gilt auch für § 185 StGB. Umso mehr gilt das, wenn die Äußerung einen gewissen Wert für die politische Diskussion innerhalb der Gesellschaft hat.

 

Allerdings endet das Recht auf Meinungsfreiheit auch dort, wo die Menschenwürde anderer beginnt. Bloße Beschimpfungen – im Jargon des Bundesverfassungsgerichts „Schmähkritik“ – muss sich niemand gefallen lassen. Wer einen Polizisten als „Bastard“ bezeichnet, überschreitet daher die Grenzen seiner Meinungsfreiheit und kann verurteilt werden.

 

Strafverteidigung Mannheim

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